Verdacht auf Steuerhinterziehung in Berliner Mietwagen- und Taxibranche
In Berlin wurde jetzt Anzeige gegen Uber und Co. erstattet. Bei der Bekämpfung der illegalen Mietwagen auf den Straßen der Bundeshauptstadt treffen allerdings hohe kriminelle Energie, behördliches Versagen und ineffiziente Steuerregeln aufs Vortrefflichste zusammen. Die kriminellen Mietwagen-Firmen sind häufig nur zwei bis drei Jahre auf dem Markt, bevor die erste steuerliche Prüfung, meist nach etwa zwei Jahren ansteht, wird die Firma – mit allen Geschäftsunterlagen - ins Ausland verkauft und somit der behördlichen Kontrolle entzogen. Zusätzlich führen Fehler beim Bundeszentralamt für Steuern dazu, dass sich die Datenübermittlung um Monate verzögert. Recherchen von rbb24 gehen von einem Schaden für den Steuerzahler in zweistelliger Millionenhöhe allein in Berlin aus.
Ein Beitrag von S. Adamek und J. Göbel, rbb24:
Ein System von "Firmenbestattungen" im Mietwagen- und Taxibereich dient in Berlin mutmaßlich der Steuerhinterziehung und dem Sozialbetrug. Das zeigen Recherchen des rbb. Ein SPD-Abgeordneter stellt jetzt Strafanzeige.
Es geht vor allem um große Player der Berliner Mietwagen- und Taxi-Szene mit vielen Fahrzeugen: Mindestens 61 Firmen sollen Teil eines sogenannten „Firmenbestattungs"-Systems sein. Bereits die Gründung wurde fast immer von ein und derselben Berliner Notarin beurkundet. Auch bei der "Bestattung" der Unternehmen tauchen immer wieder dieselben Akteure auf.
Offenbar handelt es sich um ein ausgefeiltes Konstrukt, das, um im Bild zu bleiben, von der Wiege bis zur Bahre funktioniert. Die Mietwagenfirmen sind meist nur zwei bis drei Jahre auf dem Markt und befördern Fahrgäste. Die Firmen beschäftigen Fahrer, die dann die Aufträge von Mobilitätsplattformen wie Uber, Bolt oder Freenow ausführen oder mit Taxis unterwegs sind. Dann werden sie an eine Holding in Bulgarien überführt und verschwinden vom Berliner Markt.
Nach Informationen von rbb24 Recherche hatten die Unternehmen während ihrer Berliner "Lebenszeit“ mindestens 1.300 Autos im Einsatz – Fachleute sprechen von einem Viertel der Branche und entsprechenden Umsätzen. Viele der Fahrzeuge hatten eine Konzession, also eine Genehmigung für die Personenbeförderung von der Berliner Zulassungsbehörde.
Prüfung erst nach 18 bis 24 Monaten
Im Interview mit dem rbb sagt Florian Köbler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, dass hinter den Firmenbestattungen die Absicht stehe, Umsätze zu verschleiern und somit Steuern zu hinterziehen. Nach rbb-Informationen prüfen Finanzämter neu gegründete Unternehmen in der Regel erst nach 18 bis 24 Monaten genauer. Wenn die Unternehmen dann bereits ins Ausland verkauft wurden, haben die Prüfer kaum eine Handhabe.
Hinzu kommt: Nach Recherchen des rbb und Ermittlungen des Zolls werden viele Fahrer schwarz bezahlt. Seien die Firmen abgetaucht, würden auch bei den Fahrern Sozialabgaben und Lohnsteuer hinterzogen, sagt Köbler. "Der Gesamtschaden dürfte wirklich eklatant sein."
Schaden in zweistelliger Millionenhöhe
Für eine hohe Schadenssumme spricht ein Fall, von dem rbb24 Recherche aus Berliner Ermittlerkreisen erfuhr: Eine Mietwagenfirma war etwa eineinhalb Jahre auf dem Markt und hatte einen Jahresumsatz von zwei Millionen Euro. Damit der Betrug nicht auffiel, gab die Firma beim Finanzamt geringe Umsätze an und überwies in 20 Monaten grade mal einen niedrigen vierstelligen Betrag an Umsatzsteuer.
Sobald das Geld für die übernommenen Fahrten von Plattformen wie Uber oder Bolt auf dem Firmenkonto einging – stets mehrere Tausend Euro -, holte es der Firmenchef bar aus dem Geldautomaten. Da sich in den Firmenunterlagen keinerlei Lohnzahlungen finden ließen, folgern die Ermittler überdies, dass die Fahrer von der Mietwagenfirma schwarz und in bar bezahlt wurden, so dass die Lohnsteuer und Sozialabgaben hinterzogen wurden.
Erstaunlich war auch, dass die Firma nie ein Auto gekauft oder geleast hatte. Ihre Geschäfte tätigte das Unternehmen also vollständig schwarz. Überträgt man dieses Beispiel auf die 61 Firmen und gut 1.300 Autos des vom rbb aufgedeckten kriminellen Systems, dürfte der Schaden für den Staat im mittleren zweistelligen Millionenbereich liegen.
„Rundum-Sorglos-Paket" für Steuerhinterzieher
Für Ermittler und Steuerfahnder ist es wegen der Überführung der Firmen nach Bulgarien extrem schwierig, diese Taten strafrechtlich zu verfolgen. Während bei klassischen Firmenlöschungen wegen Insolvenz grundsätzlich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird, wird bei Verkäufen nicht kontrolliert, ob bis dahin Steuern und Sozialabgaben ordnungsgemäß abgeführt wurden. Auch nicht im Fall eines Verkaufs an eine bulgarische Holding oder bei einer beliebigen Umwandlung oder "Verschmelzung" mit einem ausländischen Unternehmen.
Hinzu kommt: Auf dem Weg ins Ausland verschwinden auch wichtige Beweismittel wie Geschäftsunterlagen, Kassenbücher und Überweisungsbelege aus Deutschland, da sie ja dem neuen Eigentümer gehören. Die Ermittler im LKA sprechen daher bei dieser Form der Firmenbestattung von einem "Rundum-Sorglos-Paket" für kriminelle Firmenbesitzer. Das Berliner System ist noch immer aktiv und hat nach Recherchen des rbb in den vergangenen Monaten nahezu wöchentlich Unternehmen aus der Taxi- und Mietwagenbranche an die bulgarische Holding überführt.
Zweifelhafter Multi-Geschäftsführer im Zentrum
Im Zentrum des Firmenbestattungssystems steht laut rbb24 Recherche ein Mann aus Brandenburg. Er ist zugleich Geschäftsführer einer bulgarischen GmbH mit Sitz in Burgas. Diese wiederum gehört Limited in Cardiff, deren Hauptgesellschafter Aziz L. ein saudi-arabischer Staatsbürger sein soll. In allen Fällen ist der Mann aus Brandenburg in die Prozesse der Unternehmensverschmelzung oder des Verkaufs involviert. Dabei arbeitet er eng mit immer denselben Berliner Notaren zusammen. Auf einen umfangreichen Fragenkatalog von rbb24 Recherche zu den Sachverhalten hat er nicht geantwortet. Vor seinem Wohnsitz angetroffen, antwortet er nur: "Kein Kommentar."
Prüfung im Auftrag von rbb24 Recherche
Der rbb hat im Verlauf der monatelangen Recherche Hunderte Verträge, Urkunden und Belege des kriminellen Firmenbestattungssystems eingesehen, darunter auch Bilanzen. Der Rechtsanwalt Herwig Kollar, Präsident des Bundesverbandes Taxi und Mietwagen hat sie im Auftrag von rbb24 Recherche analysiert.
Dabei sei ihm ein Muster aufgefallen, sagt Kollar, dass nicht nur die von den Firmen im Handelsregister hinterlegten Umsätze "viel zu niedrig gegenüber dem normalen Branchendurchschnitt" seien, sondern auch die Personalkosten. Das habe zur Folge, dass "das Unternehmen so gut wie keine Sozialabgaben bezahlen muss". Dagegen würden jedoch die Fahrzeugkosten nach Einschätzung von Kollar „absurd hoch“ angegeben, so dass man klar von einer bewussten Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben ausgehen könne.
SPD-Abgeordneter erstattet Strafanzeige
Der Berliner Verkehrspolitiker und SPD-Abgeordnete Tino Schopf fordert seit vielen Jahren eine Regulierung des Mietwagenmarktes. Die jüngste Recherche des rbb sei für ihn "eine Überraschung gewesen, weil ich wirklich gedacht habe, dass wir den kriminellen Sumpf teilweise trockengelegt haben", sagt er. Er hat deshalb jetzt eine umfangreiche Strafanzeige erstattet - "gegen Personen aus dem Mietwagen- und Taxibereich wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit und wegen des Verdachts auf eine systematische Firmenbestattung in mehr als 50 Fällen".
Laut Gesetz sollten es kriminelle im Taxi- und Mietwagenbereich, die sich per App über digitale Plattformen vermitteln lassen, eigentlich schwerer haben. Denn seit Jahresbeginn müssen Plattformen wie Uber, Ebay, Amazon oder Mobile.de eigentlich Umsatzdaten einzelner Anbieter direkt an die Finanzverwaltungen übermitteln. Doch wie rbb24 Recherche erfuhr, gab es hierbei technische Probleme auf Seiten des zuständigen Bundeszentralamtes für Steuern. Die Folge: Die Datenübermittlung hat sich über Monate verzögert.
Steuergewerkschaft fordert Echtzeit-Besteuerung
Die Probleme sollen zwar mittlerweile behoben sein, dennoch bleibe die Verzögerung der Datenübermittlung grundsätzlich kritisch, Steuergewerkschafts-Chef Köbler. Eigentlich könnten die Finanzbeamten aus den Daten von Uber, Bolt oder Freenow die digital erfassten, echten Umsätze der Mietwagenfirmen genau herauslesen und somit feststellen, ob diese in Wahrheit viel mehr Geld verdient haben, als angenommen.
Im Falle des kriminellen Berliner „Firmenbestattungssystems" im Mietwagen- und Taxibereich bedeutet dies, dass die Finanzämter in Berlin jedoch frühestens Ende des Jahres 2024 Firmendaten für 2023 betrachten können. Um die Besitzer der mittlerweile gelöschten Firmen zu belangen, könnte es da bereits zu spät sein.
Köbler fordert daher eine grundsätzliche Umstellung der Besteuerung auf ein Echtzeit-System. Die Wirtschaft müsse „möglichst in Echtzeit oder zumindest zeitnah Daten an uns übermitteln, um eben den Steuerbetrug besser bekämpfen zu können". Dieses Konzept werde bereits heute in skandinavischen Ländern erfolgreich praktiziert.
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